Ausstellungsprojekt „Wichtiger als unser Leben“
NS-Dokumentationszentrum in München zeigt Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos
Wie lebten die Menschen im Warschauer Ghetto? Die neue Ausstellung im NS-Dokuzentrum bietet darauf eine radikale Innensicht. Im Zentrum stehen dabei die Dokumente, Fotos und Überlieferung aus einem geheimen Archiv der Insassen. Alle Infos.

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In Kooperation mit dem Kulturreferat und den Museen
Dieser Beitrag über die Münchner Museen wird vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert und ist in Kooperation mit der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern konzipiert worden. Die Inhalte wurden zwischen den beteiligten Museen und muenchen.de, dem offiziellen Stadtportal, abgestimmt.
Ausstellung rückt die Ghetto-Insassen in den Fokus
Es ist eine einzigartige historische Quelle, aber dennoch weitgehend unbekannt: Mitten im Warschauer Ghetto gründete der jüdische Historiker Emanuel Ringelblum ein geheimes Archiv. Unter dem Tarnnamen Oneg Schabbat (‚Freude des Sabbat‘) dokumentierten er und seine Mitstreiter*innen darin die Geschehnisse ab 1940 für die Nachwelt und riskierten dafür ihr Leben.
Seit 1999 ist das Oneg-Schabbat-Archiv Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Es besteht aus rund 35.000 Seiten: Notizen, Tagebucheinträgen, Aufsätzen, Fotos, Zeichnungen, amtlichen Dokumenten und anderen Zeugnissen des täglichen Lebens.
In seiner neuen Ausstellung „Wichtiger als unser Leben“ macht das NS-Dokumentationszentrum München diese beispiellose Sammlung aus dem Ghetto allen Interessierten zugänglich. Die Dokumente und Fotos aus dem Archiv erzählen von der vielfältigen jüdischen Gemeinschaft im Ghetto, von dem riskanten Unterfangen der Insassen, ihrer Verfolgung und Vernichtung.

Dokumentationsarbeit als Form des Widerstands
Die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum macht das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos aber auch als Akt des Widerstands begreifbar: als einen unendlich mühe- und qualvollen, aber letztlich erfolgreichen Versuch, die Geschichte der Shoah von jüdischer Seite aus zu schreiben, der Auslöschung des polnischen Judentums zum Trotz.
Im Bewusstsein des Geschehens in Warschau und der Dringlichkeit, es für die Mit- und Nachwelt zu dokumentieren, organisierte der Historiker Emanuel Ringelblum ein umfassendes Sammlungsprojekt im Ghetto. Über mehr als zwei Jahre hinweg sammelte und erstellte eine im Geheimen arbeitende Gruppe von jüdischen Akademiker*innen, Schriftsteller*innen und Aktivist*innen zehntausende Dokumente über das Leben und Sterben im Ghetto.

So arbeitete die Oneg-Schabbat-Gruppe
Ursprüngliche wollte Oneg Schabbat das Leben im Ghetto unter der deutschen Besatzung dokumentieren. Bis zu 460.000 Männer, Frauen und Kinder wurden dort unter unmenschlichen Umständen zusammengedrängt, rund 100.000 von ihnen starben an Hunger und Krankheiten.
Im Juli 1942 ordneten die deutschen Behörden die „Umsiedlung der Warschauer Juden in den Osten“ an. Mehr als 300.000 Menschen wurden vom Warschauer Ghetto aus in die nationalsozialistischen Vernichtungslager deportiert und ermordet. Auch den Mitgliedern von Oneg Schabbat wurde bewusst, dass sie die deutsche Besatzung sehr wahrscheinlich nicht überleben würden.
Die Sammlungstätigkeit der Gruppe begann sich zu verändern: Sie richtete ihren Fokus nun ganz darauf, den organisierten Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden in den deutschen Vernichtungslagern im Osten für die Nachwelt zu dokumentieren. Gesammelt wurden Beschreibungen von Deportationen, Hinrichtungen, Folter und von der Vernichtung ganzer jüdischer Gemeinden, die Warschaus mit eingeschlossen.
Von den ungefähr 60 Mitarbeiter*innen von Oneg Schabbat – die genaue Zahl steht bis heute nicht fest – überlebten nur drei die Shoah. Ein Großteil des Archivs jedoch, rund 35.000 Seiten, überdauerte den Krieg, versteckt und vergraben in Blechkisten und Milchkannen, unter den Ruinen des Ghettos.