Kunstinterventionen von Juni bis Oktober 2023

Ruine München: Das steckt hinter dem Public-Art-Projekt

Museen, Plätze, Bauwerke: Was können uns diese Orte in München über die Beziehungen in unserer Stadtgesellschaft erzählen? Mit dieser spannenden Frage befasste sich das Kunstprojekt „Ruine München“, das bis Oktober 2023 an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum stattfand. Wir verraten euch, wann und wo – und was genau dahinter steckt.

Ruine München, 2023

Künstlerische Aktionen an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum in München

Orte und Ruinen als Plattform für Beziehungen: Bis Oktober 2023 begab sich das Künstler*innenkollektiv „Ruine München Companions“ an sieben sehr verschiedenen Orten in München auf Spurensuche vom Kernkraftwerk Isar 2 über das NS-Dokumentationszentrum bis zur Juristischen Bibliothek im Rathaus.

Die Idee des Projekts war es, die jeweilige Beziehung der Orte mit ihrer Umwelt künstlerisch und kritisch in Szene zu setzen. Es ging dabei um Geschehnisse in der Vergangenheit, genauso wie um die Bedeutung dieser Orte in der Gegenwart und um Chancen, Gefahren und Hoffnungen für die Zukunft. All das wurde aus der Perspektive des jeweiligen Orts betrachtet und geschildert.

Um den sichtbaren und unsichtbaren Verbindungen der verschiedenen Orte auf den Grund zu gehen, nahmen bei den Aktionen im Rahmen des Kunstförderprogramms Public Art München auch verschiedene internationale Künstler*innen und Wissenschaftler*innen teil.

Rückblick: Diese Orte wurden bespielt

„Die Verdauung“ in den Bäuchen der Anwesenden (30. Oktober 2023)

Bei der letzten Ruine stellte Paula Erstmann, die sich mit ihrer Arbeit irgendwo zwischen Kunst, Gestaltung und Kochen bewegt, am 30. Oktober 2023 folgendes (vegetarisches) Menü zusammenN

  • Das Kernkraftwerk Isar 2
  • Die Versteinerung
  • Die Kunst im Öffentlichen Raum
  • Das Biotop auf dem Nazisockel
  • Die Geister der Haie aus Miami
  • Das Rankenornament
  • Die Verdauung

Die einzelnen Gänge strukturierten den Abend, der durch verschiedenen Gesten, Strategien und Figuren des Gastgebens bestimmt wird. Das Gastgeben hat während Ruine München Companions eine wichtige Rolle gespielt, an diesem Abend stand es erneut im Mittelpunkt.

„Babylon Schwabylon“ am Schwabinger Tor (8. & 10. September 2023)

PJ Rountree

Der Turmbau zu Babel war die erste große Trotzreaktion in der antiken Stadt Babylon – einem Ort der Korruption und Rebellion, der durch die Sünden seiner eigenen Bürger*innen zerstört wurde. Als die Menschen, verbunden durch eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Ziel, mit dem Bau eines Turms bis in den Himmel hinein beginnen, hält Gott das Bauwerk für arg anmaßend und verflucht die Menschen mit verwirrend viel unterschiedlichen Sprachen.

Die experimentellen, mehrsprachigen Schriftzüge, die häufig auf Shanzhai-Kleidungsstücken (das chinesische Wort für Counterfeit oder Nachahmung) zu finden sind, erinnern an diese Kakophonie von Babel. Shanzhai Lyric nahm euch mit auf einen performativen Stadtrundgang durch Landschaften der Vielsprachigkeit und des Nonsens im neuen Münchner Nobelviertel Schwabinger Tor – direkt neben dem ehemaligen Standort des avantgardistischen Einkaufs- und Freizeitzentrums Schwabylon. Der Spaziergang verwebte dabei Shanzhai Lyrics vorherige Recherchen zur Poetik der Fälschung und zu Diebstahl als eine Form der Redistribution, mit der Geschichte des Stadtviertels als vergangene Vision einer postmodernen Utopie.

„Die Kunst im öffentlichen Raum“ am Kulturzentrum Luise (29. Juli 2023)

Street Art in Sendling
Anette Göttlicher

Unter dem Titel „Pause not Pose“ beschäftigten sich die Künstler*innen und Aktivist*innen Clara Laila Abid Alsstar und Mako Sangmongkhon mit den politischen Kontexten der Kunst im öffentlichen Raum.

Clara Laila Abid Alsstar versteht sich als Konzeptkünstlerin, Kunstvermittlerin, researcher, und performt in spoken words. Ihr Schwerpunkt ist das Verarbeiten von situiertem Wissen zu Diskriminierungserfahrungen, social justice und die kritische Befragung von bestehenden Machtstrukturen in soziokulturellen und -politischen Kontexten.

Mako Sangmongkhon bewegt sich an den Schnittstellen der Selbstorganisation, meta-ästhetischem Aktivismus, rassismuskritischer und antifaschistischer Kultur- und Bildungsarbeit. Dabei ist es Mako wichtig, intersektionale Politiken, Perspektiven und deren verbundene Wut künstlerisch in den öffentlichen Raum zu rücken, gegen autoritäre Herrschaftsstrukturen, sowie institutionellem Rassismus entgegenzutreten.

„Das Biotop auf dem Nazisockel“ vor dem NS-Dokumentationszentrum (16. Juli 2023)

Das NS-Dokumentationszentrum in der Maxvorstadt
Jens Weber / NS-Dokumentationszentrum

Diese Ausgabe von Ruine München Companions beschäftigte sich mit den vielfältigen sichtbaren und unsichtbaren Beziehungsgeflechten, in die das Biotop auf den Sockeln der ehemaligen Ehrentempel eingebettet ist. Die Sockel sind Überreste des Nazi-Denkmals, das 1935 am Königsplatz als zentrale Nazi-Kultstätte errichtet wurde und die Sarkophage der beim gescheiterten Hitler-Putsch am 9. November 1923 getöteten NS-Putschisten beherbergte.

Nach dem Krieg wurden die „Tempel gesprengt, ihre Fundamente aber blieben erhalten. Später wurden sie mit Erde aufgefüllt und bepflanzt. Im Laufe der Zeit entwickelten sich Biotope, die die beiden Sockel heute bewohnen. Ihre Existenz ist lebendiges Zeugnis einer bis heute ungelösten Debatte um den richtigen Umgang mit dem ehemaligen Monument.

Neben dem Release der Banner und Texte wurde am 16. Juli auch eine Musik-Performance aufgeführt: Der Komponist Leon Zmelty hat für diese Ruine eine Komposition für sechs Saxophone geschrieben.

„Die Versteinerung“ im Paläontologischen Museum (4. Juni 2023)

Lichthof der Paläontologischen Staatssammlung
©SNSB-BSPG_Paläontologisches Museum München

Mit ihrer Kunst- und Soundinstallation Sessile begaben sich die Künstler*innen Anna Hjalmarsson und Jonathan Penca im Paläontologischen Museum auf die Spuren der Fossilien. Vom Skelettabguss des Ur-Elefanten bis zum Fossil eines Ichtyosauriers haben die Exponate des Museums schon alleine wegen ihres Alters viele Geschichten zu erzählen. Umgekehrt assoziieren auch wir selbst viele verschiedene Dinge mit den Fossilien.

In antiken Kulturen galt die Versteinerung als Strafe, heute sind die Fossilien hingegen Touristenattraktion. Mit einem Lautsprechersetup versuchten die Künstler*innen, all diese und viele weitere Gedanken in verschiedene Klänge zu fassen. Im mehrstöckigen Lichthof des Museums war dies besonders eindrucksvoll.

Prolog: „Atomruine“ im Kernkraftwerk Isar 2 (15. April 2023)

Thomas Gothier
Das Ruine München Companions Team

Mit dem 15. April wählte das Ruine München Companions Team einen symbolischen Tag zur Ankündigung ihres Projekts. Alle noch aktiven Atomkraftwerke Deutschlands gingen an diesem Tag vom Netz. Und: Das Münchner Kernkraftwerk Isar 2 verdeutlicht auf besonders spannende Weise, wie viele verschiedene Verbindungen und Beziehungen ein solcher Ort haben kann.

Beim Anblick des Kernkraftwerks gehen uns viele verschiedene Gedanken durch den Kopf: Das historische Unglück von Tschernobyl, aber auch die Interviews mit den Menschen, die in dem Kraftwerk arbeiteten, die man rund um diesen Tag in der Presse las. Vielleicht verbindet man den Ort sogar mit Erinnerungen an die eigene Kindheit in München. All diese sichtbaren und unsichtbaren, gewachsenen und konstruierten, notwendigen und gewollten, beängstigenden und vertrauten Verbindungen sind ein Teil des Orts.

In Kooperation mit dem Kulturreferat und den Museen

Dieser Beitrag über die Münchner Museen wird vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert und ist in Kooperation mit der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern konzipiert worden. Die Inhalte wurden zwischen den beteiligten Museen und muenchen.de, dem offiziellen Stadtportal, abgestimmt.

Das könnte euch auch interessieren